Sie sind oder waren bei einer Bank als „selbstständiger“ Vertriebler, Handelsvertreter oder Finanzberater beschäftigt? Unter Umständen sind Sie nie selbstständig gewesen, sondern sind oder waren als sogenannter Scheinselbstständiger ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer der Bank.
Dies hat das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.03.2021 – S 18 BA 93/18) neulich bezüglich eines Vertrieblers bei der Deutschen Bank entschieden.
Möglicherweise sind nahezu alle „mobilen Vertriebler“ von Banken – und damit auch Sie – davon betroffen.
Was das für Sie bedeutet und welche Rechte Ihnen dadurch entstehen, erklären Ihnen die Spezialisten im Arbeitsrecht, die Rechtsanwälte von Balduin & Partner.
Wir beraten und vertreten bundesweit Arbeitnehmer aus der Finanzbranche und führen zahlreiche Prozesse vor den Sozial- und Arbeitsgerichten zum Thema Scheinselbstständigkeit.
Für Eilige die Zusammenfassung:
Bei dem Rechtsstreit am Sozialgericht Frankfurt klagte eine Bank gegen das Finanzamt. Dieses hatte auf Antrag eines bei dieser Bank als „selbstständiger“ Vertriebler beschäftigten festgestellt, dass dieser nicht selbstständig war, sondern der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund seiner Tätigkeit für die Bank unterlag.
Dies hätte zur Folge, dass die Bank die Sozialversicherungsbeiträge der vergangenen 4 Jahre nachzahlen müsste. Des Weiteren bestünden Zahlungsansprüche des Vertrieblers gegen sie aus einem – in diesem Fall bestehenden – Arbeitsvertrag. Dagegen wendete sich die Bank an das Sozialgericht mit ihrer Klage auf Feststellung, dass der Vertriebler entgegen der Feststellung des Amtes einer selbstständigen Arbeit nachgegangen ist.
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Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen und entschieden, dass der Beschäftigte bei der Bank nicht selbstständig beschäftigt gewesen ist und damit eine Sozialversicherungspflicht bei der Bank bestand.
Selbstständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Zwar wurde ausweislich des Vertrages die Tätigkeit als selbstständig bezeichnet, die Arbeitszeit konnte frei gestaltet werden und der Vertriebler wurde entsprechend eines Vergütungssystems, das ausschließlich am Vermittlungserfolg eines Produkts in unterschiedlicher prozentualer Höhe ausgestaltet war, vergütet.
Dabei ist bereits darauf hinzuweisen, dass die Bank als „Auftraggeber“ laut Vertrag die Provisonsvereinbarung ohne Zustimmung des Vertrieblers beispielsweise aus geschäftlichen Gründen ändern konnte.
Dies habe nach Ansicht des Gerichts der Bank ermöglicht, die Vergütung uneingeschränkt abzuändern.
Vertriebler war nie selbstständig
Das Gericht konnte im Ergebnis feststellen, dass der Beschäftigte in der Realität seine Arbeitszeit nicht frei gestalten konnte und sehr wohl weisungsgebunden war.
Die Struktur der Handelsvertreter, der darüberstehenden Agenturleiter sowie der darüberstehenden Gebietsleiter sei so aufgebaut, dass hierdurch im Ergebnis eine Eingliederung des Vertrieblers erfolge.
Denn nach den Schilderungen des Beschäftigten, seien die Gebietsleiter (formal als selbständige Handelsvertreter) gegenüber dem Regionalleiter zu Berichten über die geschäftliche Entwicklung in ihrem Gebiet sowie der Ursachen verpflichtet.
Vorgaben des Regionalleiters würden sodann durch den jeweiligen Gebietsleiter an seine Agenturleiter weitergegeben, die dies dann wiederum in ihren Agenturen an die dort angesiedelten Vermittler – wie den Beschäftigten – weitergeben würden.
Dieses System sei dadurch verstärkt worden, dass die jeweils in der Hierarchie über den Vermittlern stehenden Personen (Agenturleiter, Gebietsleiter) an den Geschäftsentwicklungen der ihnen untergeordneten Personen durch Provisionen teilnahmen.
Das System der Bank stelle hierdurch sicher, dass die vom Regionalleiter und dadurch durch die Bank gewünschte Geschäftsentwicklung tatsächlich umgesetzt wird.
Dieses Berichts- und Rechenschaftssystem wirke sich dergestalt aus, dass im Ergebnis die Vermittler in den Agenturen mittelbar die Weisungen des Regionalleiters zu Geschäftsaufstellung und aufzunehmenden geschäftsfördernden Maßnahmen erhielten.
Weisungsgebundenheit begründet Beschäftigungsverhältnis
Von dem Beschäftigten im Laufe der Gerichtsverhandlungen vorgelegten Mails verdeutlichten, dass bestimmte durch den angestellten Regionalleiter zu erreichende Ziele vorgegeben und sodann durch diesen strukturiert und durch vorgegebene Termine, erreicht werden sollten.
Diese Emails führten zur Weitergabe dieser „Aufforderung“ durch den Regionalleiter an die einzelnen Vermittler sowie zu Anweisungen, den eigenen Umsatz zu steigern bzw. bestimmte Produkte in den Vordergrund ihrer Vermittlung zu stellen.
Diese Rechenschaftspflichten waren für das Gericht mit einer Selbständigkeit der Vertriebler, Vermittler, Agenturleiter und Gebietsleiter unvereinbar.
Festgelegte Vermittlungsziele der Höhe und der Produktarten nach, die durch Personen zu erfüllen sind, seien vielmehr Ausdruck einer Eingliederung in den Geschäftsbetrieb der Bank und damit einer abhängigen Beschäftigung.
Sie widersprächen der vertraglichen Vereinbarung, wonach der Vermittler berechtigt und verpflichtet war, die in der Anlage aufgeführten Produkte, jedoch keine Verpflichtung, bestimmte Produkte bevorzugt und verstärkt zu vermitteln.
Für die Weisungsgebundenheit spreche zudem, dass es ihm ohne Anwesenheit in der Agentur mangels Gebiets- und Kundenschutzes nicht möglich war, Provisionen zu erwirtschaften, da es allein auf seine konkrete Vermittlungstätigkeit ankam.
Er war gezwungen, während der Öffnungszeiten der Agentur vor Ort zu sein, um die Möglichkeit zu haben, mit Kunden der Bank in Kontakt zu kommen und diesen Produkte vermitteln zu können. Vielmehr wurde auch die Akquirierung neuer Kunden, für die die Bank angestellte Vermittler vorgesehen hatte, untersagt und auch nicht mit einer Provision honoriert.
Des Weiteren habe er für normale Kunden der Bank sowie dritte Partner der Bank (bspw. die Deutsche Vermögensberatung) Serviceleistungen erbracht, die über die vertraglich vereinbarte Vermittlung von Finanzprodukten und Versicherungen hinausgingen.
Ausschlaggebend für das Gericht war auch der Aspekt, dass er weder bei der Wahl seiner Haftpflichtversicherung, noch seines Geschäftskontos frei gewesen ist.
Jegliche Geschäftstätigkeit musste über ein bei der Bank geführtes Konto abgewickelt werden, die Bank hatte auf dieses Konto uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit hinsichtlich ihrer Rückforderungsansprüche wegen überzahlter Provisionen.
Die Feststellung, dass es sich bei der Tätigkeit um keine Selbstständigkeit handelte, hat zur Folge, dass der Vertriebler für die Bank ein sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter war. Dieser Pflicht kam die Bank in den Jahren des Beschäftigungsverhältnisses nicht nach, sodass sie hohe Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss. Dies kommt auch dem Vertriebler zugute, welcher bislang jahrelang die Beiträge zu 100 Prozent selbst zahlte.
Der Vertriebler kann nun vor dem Arbeitsgericht gegen die Bank klagen. Das arbeitsrechtliche Verfahren und das sozialrechtliche Verfahren sind unabhängig voneinander. Um Ansprüche gegen die Bank geltend zu machen, muss der Vertriebler sich an das Arbeitsgericht wenden.
Der Kläger kann eine hohe Beitragserstattung erwarten
Da er für die Sozialversicherungsbeiträge selbst aufkommen musste, kann er gegen die Bank auf Zahlung in Höhe der Hälfte der bisher gezahlten Sozialversicherungsbeiträge klagen. Denn diesen Teil hätte die Bank als Sozialversicherungsbeitrag für den Beschäftigten zahlen müssen.
Anspruch auf eine Festanstellung bei der Bank mit allen Vorteilen
Als Arbeitnehmer der Bank genießen Sie Kündigungsschutz. Das Arbeitsverhältnis kann nur unter engen Voraussetzungen beendet werden.
Des Weiteren kann der Vertriebler – als Arbeitnehmer – Lohnfortzahlungen wegen vergangener Krankheitsfälle geltend machen. Wurde das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet, stehen ihm Urlaubsabgeltungsansprüche zu. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Ansprüche nach drei Jahren verjähren, sodass nur Ansprüche der letzten drei Jahre eingeklagt werden können.
So haben wir jüngst einen Mandanten erfolgreich im arbeitsgerichtlichen Prozess gegen eine Sprachschule, bei der er als vermeintlich selbstständiger Sprachlehrer tätig war, vertreten und konnten Urlaubsgeld in Höhe von knapp 4.000,00 EUR erstreiten.
Durch ein Statusfeststellungsverfahren der deutschen Rentenversicherung konnte festgestellt werden, dass zwischen den Parteien ein sozialversicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis bestand. Daher stand ihm arbeitsrechtlich ein gesetzlicher Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen/Werktagen im Jahr zu.
Da er aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses diese Urlaubstage nicht mehr nehmen konnte, wandelte sich der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch um, der unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes berechnet wird.
Genau so würde auch in Ihrem Fall verfahren werden.
Wenn auch Sie als Vertriebler/Vermittler/Handelsvertreter für eine Bank arbeiten oder gearbeitet haben, sind auch Sie unter Umständen nur ein Scheinselbstständiger (gewesen).
Sie haben dann sowohl einen rechtlichen Anspruch gegen die Bank auf Zahlung in Höhe der hälftigen Sozialversicherungsbeiträge, als auch Urlaubsabgeltungsansprüche sowie Lohnfortzahlungsansprüche, wenn Sie in der Beschäftigungszeit wegen Krankheit ausgefallen sind. Zudem stehen Ihnen wegen Ihrer Arbeitnehmer-Eigenschaft eventuell höhere Rentenansprüche zu.
Wohlmöglich haben Sie sich und ihre Tätigkeit in einigen Aspekten des geschilderten Verfahrens wiedergefunden. Denn die meisten Banken arbeiten mit derselben Struktur, Organisation und Arbeitsweise wie die Bank aus diesem Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main.
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